29.03.2024

Infrastruktur für Betroffene von Gewalt und Diskriminierung stärken, Rassismus benennen und bekämpfen

Laut Drs. 21/20066 hat sich der Senat zum Ziel gesetzt, allen Hamburger:innen „ein Leben frei von Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu ermöglichen“. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es nicht nur die Anerkennung zivilgesellschaftlichen Engagements oder nominelle Bekenntnisse zu Diversität z.B. durch das Unterzeichnen der Charta der Vielfalt: Eine wirksame Antidiskriminierungspolitik setzt die nachhaltige finanzielle Förderung der Beratungsinfrastruktur für Betroffene von Diskriminierung voraus. Durch den Zugang zu entsprechend ausgestatteten Beratungsangeboten werden Betroffene von Diskriminierung direkt erreicht, über ihre Rechte informiert und dabei unterstützt, selbige einzufordern. Antidiskriminierungspolitik muss dort ansetzen: Bei der Unterstützung und Förderung von Betroffenen.

Nach wie vor gibt es keine Landesantidiskriminierungsstelle in Hamburg, nach wie vor hangeln sich Beratungsstellen durch projektbezogene Förderungen von Projektzeitraum zu Projektzeitraum. Struktureller und institutioneller Diskriminierung durch zeitlich begrenzte Projektmaßnahmen begegnen zu wollen, ist unangemessen. Strukturelle Probleme benötigen strukturelle Antworten. Dies hat auch die Bundesregierung unlängst erkannt: die Entfristung im Rahmen des Demokratie Leben!-Programms zollt dieser Erkenntnis Rechnung. Gerade vor diesem Hintergrund gilt es, im Hamburger Haushalt nachzuziehen: Die Beratungslandschaft in Hamburg muss endlich nachhaltig abgesichert werden – durch bedarfsorientierte, institutionelle statt projektbezogener Förderung.

Darüber hinaus braucht es Indikatoren, durch welche der tatsächliche Erfolg von Maßnahmen zur Antidiskriminierung angemessen evaluiert wird. Das gilt auch für den vorliegenden Haushaltsplanentwurf. Ebenso müssen Ziele einer Antidiskriminierungspolitik explizit benannt werden, damit sie erreicht werden können. Der bisherige Haushaltsplanentwurf ist hier sowohl im Hinblick auf die Zielsetzung, als auch auf die Kennzahlen auszubauen. Maßnahmen zur Antidiskriminierung werden durch die Ziele der Produktgruppe 255.03 Integration, Opferschutz, Zivilgesellschaft, nur unzureichend abgedeckt. Der Fokus der Produktgruppe liegt auf Opferschutz und Gewalt. Ziel 3 der Produktgruppe 255.03 besagt die „Stärkung der Selbsthilfekompetenz von Bürgerinnen und Bürgern und Organisationen im Umgang mit Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder religiös begründetem Extremismus“.
Diese Fülle an Konzepten innerhalb dieses Ziels soll jedoch nur durch zwei Kennzahlen gemessen werden, nämlich B_255_03_008: Anzahl an Beratungen durch das Mobile Beratungsteam Hamburg gegen Rechtsextremismus (MBT) sowie B_255_03_025: Anzahl der Beratungen durch Fachstelle Religiös begründeter Extremismus Legato. Hier stimmen Ziel und Kennzahlen nicht überein.

Auf der anderen Seite ist ersichtlich, dass der Senat Integration bisher nicht als beidseitige Aufgabe von Zugewanderten und autochthoner Gesellschaft sieht, sondern primär als Bringschuld von Zugewanderten. Integration wird erheblich erschwert bzw. kann unmöglich werden, wenn Betroffene in der Ankunftsgesellschaft nicht entsprechend aufgenommen bzw. diskriminiert werden. Deshalb ist es zentral, insbesondere die Zivilgesellschaft hier stärker in den Blick zu nehmen, denn sie ist es, die – abgesehen von staatlichen Institutionen – Erfahrungen von Aufnahme oder Diskriminierung für Zugewanderte definiert. Das sollte auch im Vorwort der Produktgruppe 255.03 klar hervorgehoben werden: Eine starke Zivilgesellschaft, die sich für Zugewanderte engagiert bzw. diese aktiv unterstützt, Angebote der politischen Bildung produziert und wahrnimmt, in der Migrant:innen-Selbstorganisationen in ihrem Engagement unterstützt werden und in wichtige politische Entscheidungen eingebunden sind: Das ist eine Gesellschaft, die Integration fördert. Die Anzahl an Rückführungen (neuerdings „Rückkehrenden“) hingegen, welche als B_255_03_06 aufgeführt wird, ist offensichtlich das Gegenteil von Integration. Diese Kennzahl als Indikator für Integration aufzuführen, ist skandalös.

Durch diese Betrachtung wird deutlich: Der Senat versucht bisher in seinem Haushaltsentwurf, die gesamte Antidiskriminierungspolitik Hamburgs im Bereich der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit durch die Anzahl an Beratungen durch das MBT zu messen. Das ist faktisch wissenschaftlich und fachpolitisch nicht sinnvoll. Es fehlt die explizite Nennung verschiedener Formen von Diskriminierung und verschiedener Facetten von Integration. Stattdessen wird alles unter dem Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zusammengefasst und dann wiederum nicht getrennt gemessen. Diskriminierung aufgrund von zugeschriebener Herkunft oder Religion wird so nicht erfasst. Die Bekämpfung von Rassismus bleibt im Haushalt unerwähnt. Die Bekämpfung von Antiziganismus bleibt trotz der Senatsbestrebungen für eine „Hamburger Strategie zur Bekämpfung von Antiziganismus“ (Drs. 22/ 5772) im Haushalt unerwähnt. Diese fehlende Spezifität bedeutet, dass sowohl die Zielsetzung, als auch die Messung den Bedarfen einer gut aufgestellten Antidiskriminierungspolitik nicht gerecht werden.

Die Bürgerschaft möge vor diesem Hintergrund beschließen:
Der Senat wird aufgefordert,

  1. die Sicherstellung angemessener Beratungsangebote für Betroffene von Diskriminierung als Ziel 8 in die Produktgruppe 255.03 Integration, Opferschutz, Zivilgesellschaft mit aufzunehmen.
  2. die Vorbeugung und Bekämpfung von Rassismus und Antiziganismus explizit als Ziele 9 und 10 in die Produktgruppe 25.03 Integration, Opferschutz, Zivilgesellschaft mit aufzunehmen.
  3. eine Entfristung bestehender Projekte für die Förderung einer diskriminierungskritischen und antirassistischen Zivilgesellschaft sowie für Beratungsangebote für Betroffene rassistischer Diskriminierung bzw. rassistischer Gewalt anzustreben und die bedarfsgerechte Finanzierung auf institutioneller statt projektbezogener Ebene zu verfolgen, um die mittelfristige Planungssicherheit der Beratungsstellen zu erhöhen und das Angebot strategisch langfristig zu verbessern.
  4. entsprechende Kennzahlen für das neu aufgenommene Ziel 8 der Produktgruppe 255.03 zu definieren: Die Anzahl der Beratungen durch die Beratungsstelle basis & woge.
  5. das Personal in der Beratung bei Diskriminierung aufgrund (zugeschriebener) Herkunft und Religion so weit aufzustocken, dass eine ausreichende Beratung gewährleistet wird: Aufstockung der VZÄ der Beratungsstelle amira auf 6.
  6. im Vorwort der Produktgruppe 255.03 hervorzuheben, dass Integration ein beidseitiger Prozess ist, welcher nicht nur Anstrengungen seitens der Zugewanderten erfordert, sondern auch seitens der Hamburgischen Zivilgesellschaft und der staatlichen Institutionen, sich zu öffnen und Barrieren abzubauen.
  7. entsprechende Kennzahlen für das Ziel 1 bzw. 2 der Produktgruppe 255.03 hinzuzufügen: Die Anzahl der Migrant:innen-Selbstorganisationen, die Beratungen anbieten.
  8. eine weitere entsprechende Kennziffer für das Ziel 1 bzw. 2 der Produktgruppe 255.03 hinzuzufügen: Anzahl der in der Flüchtlingshilfe ehrenamtlich Engagierten.
  9. eine weitere entsprechende Kennziffer für das Ziel 1 bzw. 2 der Produktgruppe 255.03 hinzuzufügen: Anzahl der aktiven Patenschaften für Geflüchtete.
  10. Kennziffer B_03_004 aus der Produktgruppe 255.03 zu streichen.
  11. der Bürgerschaft über den Stand der unter Punkt 3 und 5 genannten Maßnahmen zu berichten, erstmalig bis zum 01.06.2023.

Den Antrag als PDF aus der Parlamentsdatenbank downloaden

Metin Kaya

Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (MdHB)

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