Große Anfrage
der Abgeordneten
Metin Kaya, Deniz Celik, Sabine Boeddinghaus, Dr. Carola Ensslen, Olga Fritzsche, Norbert Hackbusch, Stephan Jersch, Cansu Özdemir, Dr. Stephanie Rose, David Stoop, Heike Sudmann, Insa Tietjen (DIE LINKE) vom 16.03.2023
und Antworten des Senats
– Drucksache 22/11312 –
Betr.: Durchsuchung privater Datenträger durch das LKA Hamburg in Amtshilfe für das Amt für Migration
Einleitung für die Fragen:
Neben einer automatisierten Dialektanalyse gehört die forensische Durchsuchung digitaler Endgeräte und Datenträger zur gängigen Praxis des BAMF bei der Feststellung von Identität und Herkunft von Menschen auf der Flucht. Wer keine Papiere besitzt oder diese während der Flucht verloren hat, muss im Zweifelsfall seine Geräte zur Identitätsfeststellung abgeben. Die eingesetzten Methoden und Verfahren sind vergleichbar mit denen der forensischen Beweissicherung in Strafverfahren und stellen in einer digitalisierten Gesellschaft eine der tiefstmöglichen Verletzung der Privatsphäre dar. Auch in Hamburg werden durch das Amt für Migration ähnlich schwere Geschütze aufgefahren um an Hinweise auf Identität und Herkunft zu gelangen. Laut dem renommierten Rechercheportal netzpolitik.org sind vor allem Personen, die in Deutschland nur geduldet sind, betroffen. In der Regel geht es darum abzuschätzen, ob und wohin diese abgeschoben werden können. Wer in Deutschland keine Papiere hat, hat somit also automatisch auch kein Recht auf Privatsphäre.
Selbst der Bundesrat hat bei den Beratungen zum Gesetz Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme geäußert. Auch bei mutmaßlichen Straftäterinnen und Straftätern dürften die Geräte nicht ohne richterlichen Beschluss auf diese Weise durchsucht werden, so die Argumentation des Rates. „Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Schutzniveau für Ausländerinnen und Ausländer geringer sein soll als für Beschuldigte im Strafverfahren.“
Wir fragen den Senat:
Frage 1: Wie oft hat die Ausländerbehörde bzw. das Amt für Migration seit dem 1. Januar 2018 nach § 48 Abs. 3 AufenthG Personen dazu aufgefordert, Datenträger vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen, die für die Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein könnten? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln!)
Antwort des Senats:
Es wird statistisch nicht erfasst, in wie vielen Fällen eine Aufforderung/Abnahme zur Vorlage/Aushändigung von Datenträgern erfolgte. Grundsätzlich werden immer erst die milderen Mittel ausgeschöpft und Personen werden hinsichtlich § 82 Abs. 1 AufenthG zur Mitwirkung bei der Identitätsklärung aufgefordert.
Sofern Personen ihre Datenträger zur Einsichtnahme freiwillig überlassen, werden diese danach sofort wieder ausgehändigt. Besteht keine Freiwilligkeit, werden die Datenträger schnellstmöglich zurückgegeben (nachdem die Extraktion erfolgte) und die gewonnenen Daten nach Sichtung gelöscht. Auch dies wird statistisch nicht erhoben.
Frage 2: In wie vielen Fällen hat das Auslesen eines Geräts dazu beigetragen, die
a. Identität und/oder
b. Staatsangehörigkeit der betroffenen Person festzustellen?
(Bitte jeweils aufschlüsseln!)
Antwort des Senats:
Dies wird statistisch nicht erfasst.
Frage 3: In wie vielen Fällen führten die erlangten Erkenntnisse zu einer Abschiebung?
Antwort des Senats:
Dies wird statistisch nicht erfasst. Zur Beantwortung der Frage müssten sämtliche Akten seit 2018 zu erfolgten Rückführungen durchgesehen werden (ca. 1.350). Dies ist im Rahmen einer für die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.
Frage 4: In wie vielen der unter 1. genannten Fälle führten die Erkenntnisse aus dem Auslesen der Datenträger zu einer Neubeurteilung der aufenthaltsrechtlichen Situation? In wie vielen Fällen davon zu einer Beendigung der Aufenthaltsberechtigung?
Antwort des Senats:
Der erfragte Sachverhalt wird statistisch nicht erfasst. Aus der Erinnerung sind keine entsprechenden Fälle bekannt. Für eine „Beendigung der Aufenthaltsberechtigung“ – also für einen zuvor bestandenen rechtmäßigen Aufenthalt – kommt das Auslesen von Datenträgern gemäß § 48 Abs. 3a AufenthG nicht in Betracht.
Frage 5: In wie vielen der unter 1. genannten Fälle wurden Datenträger tatsächlich ausgewertet?
Antwort des Senats:
Hierzu erfolgt keine statistische Erfassung seitens der zuständigen Fachbehörde.
Frage 6: Falls eine Auswertung nicht in allen Fällen gelungen ist: Woran ist eine Auswertung jeweils gescheitert? (Bitte einzeln ausführen!)
Antwort des Senats:
In Einzelfällen kann es zu technischen Problemen kommen, diese werden jedoch nicht statistisch erfasst.
Frage 7: Welche Arten von Datenträgern wurden ausgewertet? (Bitte jeweils aufschlüsseln, nach Mobiltelefonen, Tablets, Laptops, USB-Sticks etc..)
Antwort des Senats:
Es wurden ausschließlich Mobiltelefone ausgewertet.
Frage 8: Wurden Datenträger ausgewertet, zu denen Betroffene keine Zugangsdaten zur Verfügung stellten? Wenn ja, wie oft?
Frage 9: Wie oft und bei welchen Providern wurden dafür Zugangsdaten oder persönliche Informationen angefordert?
Antworten des Senats:
Einer öffentlich zugänglichen Beantwortung der Frage stehen überwiegende Belange des Staatswohls entgegen. Aufgrund der Aufgabenwahrnehmung im Gefahrenabwehrbereich und bei der Durchsetzung des Strafverfolgungsanspruchs wird von einer Weitergabe sensibler Information und damit von einer Beantwortung der Fragen abgesehen.
Frage 10: In wie vielen Fällen wurde mit Sicherheitsbehörden der vermuteten Herkunftsländer zusammengearbeitet um die Datenträger auszulesen?
Frage 11: In wie vielen Fällen wurde mit Sicherheitsbehörden aus Drittstaaten zusammengearbeitet um die Datenträger auszulesen?
Frage 12: Auf welcher gesetzlichen Grundlage erfolgte die jeweilige Zusammenarbeit? (Bitte einzeln auflisten!)
Antworten des Senats:
Es wurde in keinem Fall mit Sicherheitsbehörden der vermuteten Herkunftsländer oder denen anderer Drittstaaten zusammengearbeitet.
Frage 13: Auf welcher Rechtsgrundlage wurden die Datenträger entsperrt, extrahiert oder ausgewertet?
Antwort des Senats:
Dies erfolgt auf Grundlage des § 48 Absatz 3a Satz 1 AufenthG.
Frage 14: Auf welche Weise erfolgt derzeit das Auslesen und auswerten der Geräte?
Antwort des Senats:
Bei freiwilliger Überlassung erfolgt eine Einsichtnahme des Datenträgers mit anschließender Rückgabe. Im Übrigen siehe Antwort zu 9.
Frage 15: In wie vielen der unter 1. genannten Fälle
a. war das Auslesen der Datenträger notwendig zur eindeutigen Klärung der Identität oder Staatsangehörigkeit der Betroffenen,
b. führte es zu keinem eindeutigen Ergebnis und
c. in wie vielen Fällen scheiterte die Datenträgerauslesung technisch
Frage 16: In wie vielen Fällen ergab sich eine Bestätigung der von den Betroffenen gemachten Angaben und in wie vielen ein Widerspruch?
Antworten des Senats:
Dies wird statistisch nicht erhoben.
Frage 17: Nach § 48 Abs. 3a des Aufenthaltsgesetzes dürfen Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch die Auswertung von Datenträgern erlangt werden, nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist aktenkundig zu machen.
a. Wie wird sichergestellt, dass beim Auslesen keine Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gewonnen werden?
b. Wie oft wurden seit dem 1. Januar 2018 dennoch Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erfasst und wieder gelöscht worden?
c. Wie wird während der Analyse der Geräte sichergestellt, dass keine Informationen sichtbar werden, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen?Welche (technischen) Lösungen wurden dafür implementiert?
Frage 18: Soweit uns bekannt ist, verfügt die Abteilung für zentrale Ausländerangelegenheiten des Amtes für Migration selbst über keine technischen Möglichkeiten, die Datenträger auszuwerten. Laut der Aussage eines Senatssprechers erfolgt dies in Amtshilfe durch das Landeskriminalamt oder durch das Hauptzollamt Hamburg. Welche konkreten IT-Produkte (bitte Hersteller und Produktbezeichnung nennen) verwenden LKA und Hauptzollamt jeweils um die ihnen zugesandten Datenträger zu entsperren und auszuwerten?
Antwort des Senats:
Siehe Antwort zu 9.
Frage 19: Seit wann besteht die Vereinbarung zur Amtshilfe zwischen dem Amt für Migration und dem LKA sowie dem Hauptzollamt?
Antwort des Senats:
Die entsprechende Zusammenarbeit zwischen dem Amt für Migration und dem LKA Hamburg besteht seit November 2016. Seit Februar/März 2021 wird ergänzend das Hauptzollamt Hamburg um Amtshilfe nach §§ 4 ff. VwVfG gebeten.
Frage 20: Welche Art von Daten und Informationen werden vom LKA und dem Hauptzollamt an das Amt für Migration weitergeleitet? (z.B. angerufene Nummern, Chatnachrichten, Standortdaten, Browserverlauf & Surfverhalten, etc.)
Antwort des Senats:
Sämtliche Daten, die mit Hilfe der vorhandenen technischen Möglichkeiten zugänglich gemacht werden, werden zunächst gesichert und sodann an das Amt für Migration weitergeleitet. Die Art der Daten ist abhängig von dem jeweiligen Gerät.
Frage 21: Daten auf mobilen Endgeräten können nur Indizien sein, keine Beweise für eine Identität oder Staatsangehörigkeit. Wie verwendet das Amt für Migration die aus der Handy-Auswertung gewonnen Erkenntnisse weiter um die Identität oder Staatsangehörigkeit der Betroffenen festzustellen?
Antwort des Senats: Die gewonnenen Erkenntnisse werden genutzt, um weitere Informationen zu erlangen, die den Indiziencharakter stärken oder die geeignet sind, den entstandenen Verdacht zu belegen.
Frage 22: Wie werden diese Daten vom LKA und dem Hauptzollamt an das Amt für Migration weitergeleitet? (z.B. Fax, E-Mail, Postalisch per DVD oder USB-Sticks)
Frage 23: Wie werden sensible, private Daten auf dem Transportweg vor Diebstahl und Manipulation gesichert? Welche Verschlüsselungsverfahren kommen zum Einsatz?
Frage 24: Welche der erlangten Informationen und Daten werden über den Vorgang der Amtshilfe hinaus vom LKA gespeichert und wann werden alle personenbezogenen Informationen vom LKA gelöscht?
Antworten des Senats:
Siehe Antwort zu 8 und 9.
Frage 25: Aus welchen genauen Gründen hielt das Amt für Migration es für notwendig, sich Amtshilfe vom LKA/Hauptzollamt zu holen um Endgeräte und Datenträger auszuwerten?
Antwort des Senats:
Das Amt für Migration verfügt weder über die technischen Möglichkeiten noch über entsprechendes Personal zur Auswertung.
Frage 26: Welche Art von Daten und Apps dürfen Mitarbeiter:innen des LKA und des Hauptzollamtes auf den Geräten sichten, um darin nach Anhaltspunkten für Identität oder Staatsangehörigkeit zu suchen? (z.B. Telefonnummern und dazugehörige Namen und Adressen im Adressbuch, getätigte Anrufe, SMS und Messenger-Nachrichten, E-Mails, Fotos, Kalendereinträge, Notizen, Social-Media-Profile, gespeicherte Netzwerkinformationen, sonstige Apps)
Antwort des Senats:
Siehe Antwort zu 8 und 9.
Frage 27: Wie wurden Mitarbeiter:innen für den Gebrauch der Software und IT-Produkte geschult?
Antwort des Senats:
Die Mitarbeitenden der die entsprechenden Software und IT-Produkte nutzenden Dienststellen erhalten regelmäßig entsprechende Schulungen im Bereich Technik, Datenschutz und Recht.
Frage 28: IT-Produkte, mit denen digitale Endgeräte gecrackt werden, bieten in der Regel Zugriff auf alle gespeicherten Daten. Wie wird dabei sichergestellt, dass keine Informationen sichtbar oder gespeichert werden, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen?
Antwort des Senats:
Siehe Antwort zu 8 und 9.
Frage 29: Welche Kosten sind seit 2018 durch das Auslesen der Daten und den Einkauf und die Pflege möglicher Soft- und Hardware entstanden (bitte jeweils aufschlüsseln!) und welche Stelle hat die Lizenz für das Produkt bzw. die Produkte erworben?
Frage 30: In welchem Umfang finden Schulungen des Personals zur Anwendung der Software statt und ist dies in den Verträgen mit dem Hersteller vorgesehen? Welche Kosten entstehen dadurch?
Antworten des Senats:
Es wurde für die Amtshilfeersuchen weder zusätzliche Hard- oder Software angeschafft noch spezielle Aus- und Fortbildungsmaßnahmen durchgeführt. Die entstandenen Kosten werden nicht gesondert erhoben. Im Übrigen siehe Antwort zu 8 und 9 und zu 27.
Frage 31: Welche Daten und Statistiken werden erhoben, um die Effizienz und das Kosten-Nutzen-Verhältnis der forensischen Analyse digitaler Endgeräte und Datenträger zur Identitätsfeststellung nach § 48 Abs. 3 AufenthG zu evaluieren?
Antwort des Senats:
Statistische Daten im Sinne der Fragestellung werden nicht erhoben.
Frage 32: Wie bewertet der Senat die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe in das Grundrecht von Integrität und Vertraulichkeit von informationstechnischen Systemen sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Anbetracht des hohen Anteils unbrauchbarer Prüfberichte und gering einzuschätzender Zuverlässigkeit der ausgelesenen Daten?
Antwort des Senats:
Hintergrund der Eingriffe ist immer die Klärung der Identität bzw. Staatsangehörigkeit der betroffenen Person, für die die jeweilige Maßnahme angemessen, erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein muss. Betroffene Personen werden zunächst zur entsprechenden Mitwirkung bei der Identitätsklärung sowie Passbeschaffung aufgefordert. Erst wenn sie dieser gesetzlichen Pflicht nicht nachkommen und alle milderen Mittel ausgeschöpft sind, wird eine Datenträgerauswertung initiiert. Diese Initiierung ist stets einzelfallbezogen.
Frage 33: In wie vielen Fällen wurden von 2016 bis 2022 Informationen aus der/den Ausländerbehörde/n nach § 18 Absatz 1a BVerfSchG an das LfV Hamburg übermittelt?
Antwort des Senats:
In keinem Fall.
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